Die Geschichte von Neuhofen
Damit aus Neuhofenern doch noch "Neiheffer" werden
Oh ihr Neuhofener! Euer Dorf hat doch gar keine Geschichte! Als wenn das hochgestochene Wort Neuhofener (wo doch jeder weiß, daß es Neuhöfer oder besser Neiheffer heißt) nicht schon schlimm genug wäre. Da behauptete der Lehrer doch im Gymnasium vor versammelter Klasse, unser Dorf hätte gar keine Geschichte. Das ist nicht wahr! Neuhofen ist mehr als 800 Jahre alt! Das war zwar in der Empörung ein paar Jahrzehnte daneben. Aber vielleicht auch nicht. Denn wann genau Medenheim, die Keimzelle Neuhofens, gegründet wurde, darüber gibt keine Quelle Auskunft. Erst eine am 9. Mai 1194 von Kaiser Heinrich VI freundlicherweise unterzeichneten Urkunde rettet fast 800 Jahre später einer kleinen Schülerschar aus Neuhofen die Ehre. Wir haben eine Geschichte! Zum ersten Mal tritt, damals noch unbewußt, das Gefühl "Heimat" auf. Unser Dorf. Unsere Geschichte. Aber was ist mit unserer Geschichte? Mit der unserer Eltern und Großeltern und Ururgroßeltern? Warum kamen sie ausgerechnet nach Neuhofen? Wegen des landschaftlichen Reizes und des billigen Baulands? Weil die nahe BASF Arbeit und Brot versprach? Geschichte steht bekanntlich nicht nur in Büchern und wird nicht nur von großen Persönlichkeiten gemacht.
Spuren der Geschichte lassen sich am besten im Museum finden. Ein Heimatmuseum allerdings gibt es in Neuhofen (noch) nicht. Aber eine Galerie mit Bildern eines Malers, der sein ganzes Leben lang immer wieder Neuhofener Motive gesucht hat - Otto Ditscher. Unterm Dach im Alten Schulhaus erkennen freilich jüngere Generationen viele Motive gar nicht wieder, so verändert hat sich das Dorf. Doch ein Blick in die von Ditschers Frau Jo verfaßte kleine Ortschronik macht deutlich, warum Neuhofen sein Gesicht immer wieder änderte, ändern mußte, warum sich auch seine Bewohner ändern mußten. Was die Vorfahren gereizt haben muß, sich um den Klosterhof herum anzusiedeln, scheint klar: Das Land war frurchtbar, die Rheinauen voller Fische, Viehzucht auf trockengelegten Wiesen war möglich. Die Zisterzienser hielten sogar einen eigenen Markt ab. Neuhofen blieb über die Jahrhunderte hinweg ein Dorf der Bauern, die sich gegen alle Wirren und Unglücke der "großen" Geschichte durchsetzten.
Erster Schlag: Nach dem Verkauf des Hofes an kurpfälzische Herzöge geriet die "Nova Curia" in die Fehde Karls IV. gegen die Anhänger seines Gegenkönigs Günther von Schwarzenburg. 1349 wurde die beim Hof entstandene Burg zerstört, vom Hof blieben nur ein paar Kellergewölbe übrig. Trotzdem blieben die Bauern, rodeten Land, bauten inzwischen auch Hanf und Flachs an, um Tuche weben zu können.
Nach dem Tod des pfälzischen Kurfürsten Ludwig 1449 fühlten sich zu viele als seine rechtmäßigen Erben. Im Laufe der Kriege wurden bis hin zur Haardt Dutzende von Dörfern niedergebrannt. Auch Neuhofen blieb davon nicht verschont. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts folgte der Erbfolgekrieg, und wieder mußten die Bauern anschließend wahrscheinlich neue Hütten und Ställe bauen. Doch was war das schon gegen die vierte große Welle der Geschichte, den 30 Jährigen Krieg. Keine Urkunde vermag mehr zu berichten, welches Leid die Dörfler erleiden mußten. 1637 raffte die Pest wohl auch die letzten Bewohner dahin. Die geflohen waren, kehrten erst im Frieden zurück, mit ihnen jetzt aber auch viele, die keine Heimat mehr hatten, Fremde. Und sie wurden von der Politik der "Großen" wieder enttäuscht. Die Heirat Liselottes von der Pfalz an den französischen Hof brachte den orleanischen Erbfolgekrieg in Gang. "Zerstört die Pfalz!" lautete jetzt der Befehl des französischen Sonnenkönigs Ludwig des XIV.
1785 zählt Neuhofen nur 447 Bewohner, die unter napoleonischem Recht lebten, denn die linke Rheinseite blieb bis um die Wende ins 19.Jahrhundert hin französisch. Im Wortschatz hat sich das bis heute erhalten, auch wenn jüngere schon gar nicht mehr wissen, was die "Schossé" oder "parablü" bedeuten. Durchgreifender aber waren die Veränderungen in den Besitzverhältnissen und der Verwaltung. Schultheißen traten auf. Der Grund ging in den Besitz der Bauern über. Das Bruchhaus, das damals in Richtung Limburgerhof gebaut wurde, weißt auf einen weiteren Erwerbszweig Neuhofens hin, die Bewirtschaftung der Bruchwiesen. Das Torfstechen wurde bis zum 2. Weltkrieg betrieben. Die Zeiten der großen Not waren vorbei, die Einwohnerzahl Neuhofens wuchs. 1867 sind es schon 1453. Die Gründung der BASF eröffnete neben der Landwirtschaft eine andere Form der Erwerbstätigkeit, die Neuhofens Geschichte nachhaltig veränderte.
Die Spuren der Geschichte werden tiefer, persönlicher. Die "Ur-Neiheffer" können sich noch erinnern, wie es früher war. Wie die Frauen Tabak aufzogen. Wie der Herr Lehrer eins auf die Nase bekam, weil er die Kinder in der Schule schlug. Wie es per pedes nach Ludwigshafen zur Anilin ging. Wie an der Bleiche am Rehbach die Wäsche gewaschen und ausgelegt wurde. Die Kinder bewachten sie, wegen der Gänse. Unwiederruflich vorbei. Der Rehbach wurde 1975 umgeleitet. Er war zu einem stinkenden Gewässer geworden, in dem schon lange niemand mehr seine Wäsche waschen wollte. Die Gässelbach wo früher die Mühle, die Keimzelle der "Nova Curia" stand ist ausgetrocknet.
Hinter der Waldmühle, da begegnet man ihm wieder. Im Unterwald, wo sich in Richtung Altrip und Rheinauen tatsächlich heute noch ein bißchen von der Sagenwelt spüren läßt, in der die Neuhöfer unheimliche Vorgänge zu erklären suchten. Wie die vom Schlapp oder Kitschhut, der dort am "Hochzichloch" sein Unwesen getrieben haben soll. Aber auch die Geschichte vom weißen Hammel zeigt noch heute, das die Neuhöfer damals gar kein Fernsehen brauchten um sich zu gruseln. Der weiße Hammel, ein Gespenst, erschien in einem Haus im Burggässel immer wieder. Der Besitzer baute sich in der Speyrergass ein neues Haus. Aber auch dahin verfolgte ihn das Tier. Sein Sohn schließlich verfolgte das unheimliche Tier bis zu seinem Unterschlupf an der Waldmühle, wo es verschwand. Das wohl Einbildungskraft und Kerzenlicht bei dieser Geistererscheinung kräftig mithalfen, zeigt die Tatsache, daß das Gespenst nicht mehr auftauchte nachdem das elektrische Licht eingeführt wurde. Wer demnächst im Dunkel durch das Kirchgässel geht, sollte sich an die Geschicht von "Mohrle und dem Jockel" errinnern. Der Jockel nämlich war Kuhhirte, und wie man erzählt, ging es bei ihm nicht recht im Kopf zu. Er mochte die Krispine gerne, doch die wollte ihn nicht. Eines Tages verlor er auf der Weide durch ein Gewitter eine Kuh und war seine Stelle los. Das traf ihn so, daß er wenig spater starb. Sein "Mohrle" aber, das beim Gewitter auch getötet worden war, erschien nun im Kirchgässel als Geist. Niemand traute sich mehr dorthin, bis die Krispine das unheimliche Tier am Tor des alten Kirchhofs entdeckte. Sie sagte nur: "Mohrle, geh heim!" Seitdem hat niemand mehr das Tier gesehen. Ebenfalls verschwunden ist die Weiße Frau, die am Hochufer zwischen Waldsee und Neuhofen einst einen Schütz so erschreckt haben soll, daß er starb. Warscheinlich ist sie vom sommerlichen Hochbetrieb an der "Schleecht" verschreckt und vertrieben worden.
Die Spurensuche endete nicht mit dem Aufstieg Neuhofens zu einer sogenannten modernen Wohngemeinde. Denn wer heute hier wohnt, der mag nicht automatisch auch in der Dorfgemeinschaft leben. Neubürger werden oft sogar abwinken, und sagen, daß sie sich gar nicht mit ihrem Lebensraum identifizieren können oder wollen. Vor dieser Situation hat Neuhofen noch nie in seiner Geschichte gestanden. Vielleicht hat das Jubiläum mitgeholfen, daß aus manchen Neuhofener auch ein "Neiheffer" oder doch zumindest ein Neuhöfer wird.